fühlt // 04.04.2012

Chloes Nachlass

 Die Frau im Mosaik aus Spiegelscherben

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Die Kamera legt ein üppiges Gewand goldblonder Haare auf die Augen des Zuschauers. Leicht gewellt verdeckt es die nackte Rückwand eines Behältnisses, das unter dem Namen „Chloe“ die an- und aufregende Persönlichkeit eines jungen Geschöpfes umfasst, das von sich selbst sagt: „Es gehört zu meinem Job, zu wissen, wo meine Hand hin muss – meine Lippen, meine Zunge mein Bein – und sogar meine Gedanken!“ Im Halbdunkel wird das Bedecken der Bergzwillinge (in der Größe sonnengereifter Früchte der Verführung) zum eigentlichen Entblößen von Sinnlichkeit erhoben, werden Geschenke verpackt, deren Preis zwischen Liebe und Geld ins Unermessliche flieht. Wohin mit dem Blick, mit der Begierde? Langsamen Schrittes überfordert uns das Kamerabild, das nun − unsere Neugierde erfüllend − das Antlitz der zarten Blonden von ihrer Frontseite enthüllt, es im verschnörkelten Rahmen eines Spiegels fasst, der – so groß wie eine Tür – sowohl das Ende einer Geschichte erzählt als auch Eintritt in eine noch zu Schreibende verspricht.

In Gedanken versunken, will ich all meinen Kummer auf diesen abgebildeten Spiegel erbrechen, sollen Wörter zu Tode gefahrener Emotionen den Spiegel vertikutieren − unter ‚vertikutieren‘ „versteht man das Anritzen der Grasnarbe einer Rasenfläche, um Mulch (altes Schnittgut) und Moos zu entfernen und die Belüftung des Bodens zu fördern“ (vgl. Wikipedia). Scherben bringen Unglück! Die Frau im Mosaik aus Spiegelscherben. Könnte ein verdammt guter Titel für eine Kurzgeschichte werden, sinniere ich und will mich an diesem Gedankenfaden aufhängen. Doch das Kamerabild verhindert meinen fiktiven Freitod. Die Kamera tackert – ohne Rücksicht auf den Verlust ihres einzigen Zuschauers – Bild an Bild (weiter). „Ich glaube, ich konnte schon immer gut mit Worten umgehen. In meinem Beruf ist es genauso wichtig, das beschreiben zu können, was ich tue, wie es zu tun“, ertönt im lasziven Singsang die Stimme der Blonden ohne dabei ihren Ursprung zu verraten. In einer SMS nennst Du mich „Wortkünstlerin“ – was willst Du? Soll ich Dich dafür hassen? Lieben darf ich ja nicht. Aber ‚mögen‘ wird diesem großen Wort nicht gerecht.

„[…] Wann man etwas sagt, welche Worte man wählt. Manche Männer hassen es, bestimmte Worte zu hören. Sie können bestimmte Bewegungen nicht ausstehen und ohne manch andere können sie wiederum nicht leben.“

„Dein Lachen brennt sich in mein Gedächtnis ein“ – wie konnte ich nur?! Wie konntest Du das aber auch thematisieren? Keine zwei Minuten nach dem Ende dieses fabulösen (Geschlechts-)Aktes! „Schatz“, „Hase“, „Sari“ oder „bei Dir stimmt einfach alles“ – Männer dürfen alles sagen. Mir willst Du einen Mund verbieten, den Du doch so sehr magst – O-Ton: „Du bist eine so leidenschaftliche Küsserin!“ Das erste Mal nun ein Gefühl von Unbehagen zwischen uns (während die Dir zugeordnete Zahnbürste in meinem Bad der Meinigen Gesellschaft leistet). Keine Beziehung, Punkt. Nein – besser so: Keine Beziehung, ein Ausrufezeichen von Dir, ein Fragezeichen (auf der Stirn) von mir. Meine Tränen hinterlassen eine feuchte Spur zwischen unseren noch feuchteren Körpern. Du hast die Fernbedienung auf Vorspulen gedrückt; das war nicht gut. Das tat weh.

„Ich kann Dein erster Kuss sein oder ein aus dem Playboy herausgerissenes Foto, das du entdeckt hast als du neun Jahre alt warst. Bin ich deine Sekretärin oder bin ich Deine Tochter? Vielleicht bin ich Deine Mathelehrerin aus der Siebten, die du immer gehasst hast. Ich weiß nur, wenn ich es richtig mache, kann ich dein lebendiger, atmender, unerschütterlicher Traum werden – und dann kann ich auch wieder verschwinden.“

Cut. Die nächste Sequenz zeigt die Praxis der Gynäkologin Catherine (gespielt von Julianne Moore).Auch ich habe Morgen einen Termin bei meiner Frauenärztin. Dann lasse ich mir ein Rezept für eine andere Pille verschreiben – eine, bei der meine Brüste nicht mehr wachsen. „Sind Deine Brüste gewachsen?“ Da hat sich das Unbehagen in mir fast in Wut verwandelt. Ja, sind sie. Sie sind es in den sieben Wochen zwischen der Nacht, in der ich Dir − auf den Fliesen Deines Bad sitzend – von meinem Schulpraktikum erzählen sollte, und der hier Thematisierten. Lange Wochen, in denen Hausarbeitenstress, Kopfschmerzen und Gedanken an Dich meinen Geist strapaziert haben. Die Hausarbeiten sind geschrieben, die Kopfschmerzen werden durch eine neue Pille verfliegen. Die Gedanken an Dich? Sie sind geblieben; sie werden bleiben.

„Ich kann das, ich komm‘ damit klar. Ich bin alt genug, um auf mich aufzupassen!“ Ich weiß gar nicht, ob ich mit Dir zusammen sein will. Ich weiß nicht, was ich für Dich sein will! Im Film „Chloe“ konnte Selbige alles für die Männer(-welt) sein; für Catherine (Julianne Moore) wollte sie das Ein-und-Alles sein. Vielleicht will ich was dazwischen (sein).

Der Film – ein Psychothriller − ist als eine Ménage à trois zu lesen: In die Ehe zwischen der Ärztin Catherine (Julianne Moore) und dem beliebten Musikprofessor David (Liam Neeson) platzt eine SMS, die auf eine Affäre Davids schließen lässt. Um seine Treue zu testen, engagiert Catherine die Edel-Prostituierte Chloe (Amanda Seyfried), die ihrer Auftraggeberin schnell (erotische) Ergebnisse präsentiert. Schockiert davon will Catherine das Geschäft beenden, doch sie ist schon längst der Anziehungskraft eines gefährlichen Spiel mit der attraktiven Chloe erlegen, bei dem sie zunehmend die Kontrolle verliert.

Bald ist Donnerstag.

Was wird dann sein?

Was kann ich dann sein?

Was willst Du dann sein?

Wo wollen wir dann sein?