fühlt // 20.04.2018

Lob der Signatur. Für kurzhalsige narzisstische Giraffen

9,3672 Pakete nehme ich gefühlt und durchschnittlich pro Woche – und meist für die Nachbarn – an. Der in gelb und rot gekleidete Bote dieser Übergrößen tragenden Legosteine kennt meinen Namen in all seiner kurzen Vollständigkeit; der Hund wiederum erkennt den Kapitalismusboten an dessen Klingelfrequenz, stuft darüber hinaus seinen signalfarbigen Dresscode als ungefährlich ein und hängt auf der Grundlage dieser Erkenntnis, die bei einem eigentlich farbenblinden Wesen IQ-Topnoten vermuten lässt, seinen Job als Türsteher an den Nagel.

Worauf ich hinaus will: Als zentrale Annahmestelle für die Bikini-Trends 2018 setze ich meine Unterschrift derzeit überaus häufig auf mir in aller Hast entgegenspringende Magnetfelder. Meine Signatur ist dabei nicht nur Zeugnis der positiven Warenannahme, sondern Zeugnis eines routinierten Ausdrucks meiner Selbst. Dass ich heute in zwei Wochen mein saraheskes Gekritzel zum rechtsprechenden Zeichen einer anvisierten lebenslangen Verbindung mache, ist eine andere Geschichte. Es führt an dieser Stelle auch zu weit, zu erklären, warum ich mich von meinen Initialen trotz einer potenziellen Gleichsetzung ihrer mit einer nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Herrschaftseinheit nicht trennen möchte und ab dem 4. Mai den Prozentsatz der weiblich-verheiratet-deutschen Bevölkerung auf 18,81 steigen lassen werde, wenn ich meinen „Mädchennamen“ mit in den „Hafen der Ehe“ schmeiße.

Ich mag meine Unterschrift, ich beweihräuchere die Lässigkeit, mit der ich sie mittlerweile – der vielen Pakete sei Dank – in der immergleichen und explizit nicht politisch zu verstehenden rechten Beugung auf analoge und digitalisierte Papierfelder setze. Wiederholt wurde meine Unterschrift als „ärztlich“, „krakelig“ und stereotypen Denken folgend als „männlich“ bezeichnet. Eine 1 in Schönschrift sei damit nicht zu erwarten. Ebendiese hatte ich aber: „Mit viel Freude schreibst Du freie Texte, wobei Du die Wörter sehr genau auf ihre Laute abhörst. Weiter so! Du schreibst stets sauber und ordentlich.“ (Zeugnis 1c, 23.6.1997) „Ganz besonders hervorzuheben ist Deine wunderschöne Schrift.“ (Zeugnis 2c, 7.7.1998) „Deine Schrift ist außerordentlich schön.“ (Zeugnis 3c, 12.7.1999) In der vierten Klasse dann gab es die Bestnote für „Schreiben“ – also für das Schriftbild an sich und nicht das „Lesen“, die „Schriftliche Darstellung“ oder die „Rechtschreibung“. Ich wollte gefallen, idealisierte und ideologisierte in der Folge das gedruckte Wort, ahmte nach, imitierte, satt einen eigenen Umgang mit diesen holzschnittartigen Zeichen der Verständigung zu entwickeln. Welch ein sinnbefreiter Schrift-Darwinismus! Heute bin ich froh, meinen in Schulzeiten langgewachsenen Giraffenhals gestutzt zu haben, mich mit und mittels meiner Signatur als Individuum platzieren zu können. Es klingelt an der Tür.

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[Aus Gründen der Sicherheit ist hier lediglich ein verdrehter Ausschnitt meiner Signatur zu sehen.]