liebt // 21.11.2012

Weißheit

Neunmalkluge Unsympathen meinen mit physikalischem Impetus allwissend markieren zu dürfen, dass Weiß keine Farbe ist. Jedenfalls sei es keine eigene Farbe, sondern entstehe durch die Überlagerung aller Spektren des Lichts – ist somit vielmehr die Summe aller Farben. Ich gebe ihnen recht. Denn: in dem Versuch, Dich zu malen, fehlen mir die Farben. Und wenngleich Du weißt, dass sich in meinem Kleiderschrank wenig Behüllungen weißer Textur für Bereiche von Kopf bis Fuß finden lassen – ja sogar schwarz vorherrschend ist -, widmen sich diese schwarzen Striche auf Blankopapier ebendieser Farbe – und vor allem Dir!

 

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[Weizen gab Weiß seinen Namen. Im Englischen white und wheat, im Schwedischen vit und vete; in anderen Sprachen ist Weiß hingegen mit dem Glänzen des Lichts verwandt – bianco auf Italienisch, blanc im Französischen. Leukos im Griechischen bezeichnet sogar das Leuchten.]

Man muss mich nicht erst auf der Bühne sehen, um zu erkennen, dass ich keiner dieser feinen weißen Schwäne bin. Phasenweise vielleicht gerne zur grande dame mutierend auf lisboatischen Straßen flanierend brillieren – doch halt‘ inne: auch hier trug sie schwarz. Das Weiß bloß ein reflektierend weißer Schimmer, Dein Antlitz im Spiegel des Gegenübers.

Winter: es wird früher dunkler. Doch man tappt im Dunkeln, wenn man meint, dass der herabsinkende Himmel dort draußen sich auch auf Deine Glieder und Lider legt. Nein, Du sitzt ein paar Kilometer weiter weg im vom Licht durchfluteten art-Büro und lässt Dir im Lampenlicht auf Stirn das Wort „Arbeit“ einbrennen, wo andere bei Kerzenschein am Tische „Abendbrot“ schreien. Ich könnte weinen. Ein Wein. Ein Wein später. Ich dialogisiere im Monolog mit meinem Buch. Es erzählt mir famose Geschichten – von Hitze und Schwitze, die nach Blumen duftet und Lust bekundet…

Doch was erzähle ich? Wem erzähle ich was?

Die weise Erkenntnis des Weißen: Du erhellst mich! „Bling, bling“ macht es allzu häufig in Gesprächen, wenn die von mir als düster-mystisch empfundenen Gefühlsduseleien von Dir von rechts nach links gelesen werden, von Deiner Linkshänderigkeit ausgehend betrachtet werden. Du bietest weiße Wände. Als Spielwiese. Als Erkenntnisformat. Als Lebensraum. À deux. Deine Lust am Fallen radiert die kleinen grau-schwarzen Teufel aus meinem Tagebuchpapier…

Doch heute  – während Du Pixel hoch- und querformatierend verschiebst -, blicken meine dunklen Augen vom Buch herauf nicht in hellere und strahlende Augen; nein, sie blicken aus dem Fenster in den Abend, der Nacht zu werden droht. Ein Nacht, die es alleine zu benächtigen gilt. Weise Worte? Vielleicht. Aber wo ist das Weiß?

 

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[Die Nicht-Farbe Weiß wird nicht selten in assoziative Verbindung mit Begriffen wie Reinheit, Licht und Schnee gebracht. In der Magie kommt das Weiß in und bei Ritualen zum Zug, die spirituelle Erleuchtung, Reinigung, Heilung oder auch Wahrheitsfindung zum Ziel haben.]

In düsterer Dämmerung einschlummernd kommt dann alsbald , pünktlich zur Geisterstund, eine weiße Eule angeflogen und singt mit glasklarer Stimme eine Melodie in Ohr und Herz herein. Eine sanfte klavierend summende Melodie, die an das längst vergessene „Du“ von Glashaus erinnert…

 

Und zugegebenermaßen muss ich mich wohl in die Liga der Neunmalklugen einreihen, die  dem Weiß einen Farbanspruch absprechen. Der Farbeindruck „weiß“ entsteht immer, wenn ein Material das Licht in solcher Weise remittiert, dass alle drei Zapfen in der Netzhaut des Auges in gleicher Weise und mit ausreichend hoher Intensität gereizt werden…

Du reizt mich.

Mit jedem Tag

und Monat

mehr.

 

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[Eskimos verwenden circa zweihundert verschiedene Namen für das Weiß.]

Heute Abend jedoch bin ich weniger durch Deinen Reiz betört als von anderen Reizen gestört. Es reizt mich das Alleinsein. Sinnlos erscheint der Blick in das Buch der Tropen, wenn keine Textpassage vorgelesen und zur Diskussion freigegeben werden kann. Es reizt mich mein Schwarzblick. Jede weiße Wand gibt sich der Dunkelheit hin, die doch so ein leichtes Mädchen ist. Ich, ich aber will zum Licht!

 

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[Nur eine weiße Feder. Ein Flügelschlag, ein Gedanke: Zeus erschien Europa als weißer Stier, der Heilige Geist zeigte sich als weiße Taube, Christus ist das weiße Lamm. In Indien sind weiße Rinder die Verkörperung des Lichtes. In China sind Reiher und Ibis heilige Vögel der Unsterblichkeit…]

Zum Licht, zum Licht! Rechner hoch, Licht an. Ist zwar alles künstlich, ist zwar alles nur Ersatz, aber es vermag Reize zu kanalisieren. Es ist und bleibt das Schreib-Kalkül! Und hier, aus dem Gemisch von schwarz und weißen Flächen vor mir, treten wir  – oder auch nur ich mit mir – wieder in den Dialog, entwickeln Reize sich zu Weizen, der ja Namensgeber des Weißen war.

Ich weiß, dass ich Weiß mag!