fühlt // 23.12.2012

Entwurf & Verwurf

Für meinen Vater

Am 03. August 1989, morgens mit dem Glockenschlag sieben, kam ich in Hamburg an der Elbe auf die Welt. Die Konstellation war günstig: die Sonne brüllte lauthals im Zeichen des Löwens ein „Guten Morgen, Mia“ in die Welt hinein und kulminierte für den Tag; die M&Ms und Maltesers in der Umlaufbahn blickten mich freundlich an, der Milky Way nicht widerwärtig. Snickers und Mars verhielten sich gleichgültig; nur der Mond neben der Bounty und links vom teuflischen Twix, der sich soeben zu einem Kreis entschloss, übte die Kraft seines Gegenscheines umso mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher abgewickelt werden konnte, als bis diese Stunde verstrichen war. Diese Aspekte, welche mir mit astrologisch-esoterischem Impetus in der Folgezeit sehr hoch angerechnet wurden, überstrahlten gewissermaßen das Faktum von satten zehn Tagen Verspätung, konnten doch nun aber leider nichts an meiner Lage beschönigen. So streifte zuerst ein zarter Windhauch im Kreissaal mein Gesäß. Ich war eine Arschgeburt! Doch verstand ich mich nicht als Arsch der Welt, sondern sprach dieses Attribut mit wachsendem Sprachkorpus und dessen vielfachen Variationen fortan meinem Herrn Erzeuger zu, der − wie ich mit fünf Jahren mit dem Quitscheentchen gemeinsam trällernd in der Badewanne erfuhr − kein geringer als ein gewisser Herr Verleger war, ist und wohl immer bleiben wird.

Wenn man sich nun einmal – vielleicht auch zwei- bis dreimal − selbst beschaut und das cognac-farbene Rehbraun seiner großen Augen als genetisches Spurenmaterial diese Verlegervaters einerseits und als Spiegel seiner Seele andererseits versteht, so läuft man wohl Gefahr, in nabelkreisender Manier sein Ich nach dazugehöriger Werdung zu befragen. Im Bewusstsein meiner Augen bin ich also in einen Kampf gezogen, der nur sehend und mittels Federkunst und Tabula-rasa-Papier ausgefochten werden kann. Und es fängt an.

Wenngleich ich mich in meiner Frühzeit in Klassenverbänden noch durch meine Sportkunst profilierte, ließ mein tiefes Wesen doch allerhand Kreativität sprießen, die – eingerahmt von Ballettfrust und Leselust – zu einem Bohème-Dasein en miniature mutierte, welches das l’art pour l’art-Konzept immer häufiger artikulierte und schließlich zwischen den Fingerspitzen als Kalkül verspürte. So findet sich im linierten DIN A4-Format des Biologieheftes der neunten Klasse neben der synthetischen Evolutionstheorie, demnach durch natürliche Selektion diejenigen Veränderungen häufiger an die nächste Generation weitergegeben werden, die ihren Träger besser an eine gegebene Umwelt anpassen, folgende Randnotiz im gekringelt-lilafarbenen Schriftzug:

Bei manchen Menschen scheint es Schicksal zu sein, dass sie kein gewöhnliches Leben führen können. Für sie ist die Entfaltung der eigenen Kreativität so wichtig, wie für andere die Luft zum Atmen; und es gibt nichts Schlimmeres als einen 9-stündigen Büroalltag in grau-braunen Betonklötzen, die an eine Vorstellung von Guantánamo anknüpfen und nach Desinfektionsmitteln schnuppern. Kommt raus, macht Euch dreckig und werdet eckig!

Die vor Euch liegende Textur ist folglich nicht nur dem Format nach von eckiger Natur. Ein Mensch voller Ecken und Kanten stellt Eckpunkte seines Lebens dar, die sprachästhetisch mit Kommata, Kapiteln und Seitenanzahl versehen sind. Nachdem man sich monatelang mit den sagenumwobenen W-Fragen der angestrebten Erzählung auseinandergesetzt hat, kann nun das Schreibtier in mir aus seinem zustudierten Kopf-Käfig herausgelassen werden.

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