fühlt // 03.02.2013

Oh, heiliger Sonntag!

IMG_6516

Familien. Eine wie die andere; sie sitzen nun zum Mittag beisammen. Die Mutter kann das Essen nicht genießen, denn sie hat den Geruch der im High-Tech-Ofen bei 180 Grad Umluft zerfließend moussierenden Käsemasse schon seit einer Stunde – seit dem eintönigen Behacken der Arbeitsfläche zugunsten von minutiös quadrierten Paprika-, Zucchini- und Auberginenstücken – im hinteren Gaumenbereich im Übermaß sitzen. Der Vater, seit drei Stunden die Haltung Michael Schuhmachers während der Sichtung in Paris lokalisierter und dort rasender Autoblitze nachahmend, bequemt sich an den von der Tochter gemäß der haushaltsplanerischen Ordnung 02/13 lieblosvoll gedeckten Tisch, fordert sein weibliches Abbild auf, ihren großen Bruder aus dem Schallraum der pubertierenden Sperrzone zu holen. Schlurfend betritt der schwarze Dreimeterturm die sonntägliche Speiserunde und setzt sich an die beschattete Nordseite des Esstisches, unter dem sich nun acht Füße die Zehen reichen. Das Schweigen kann beginnen. Ein ganz normales Dasein. Ein Sonntag unter vielen anderen. Die Monotonie des Beisammenseins. Herrlich. Ein Bild aus alten Tagen, es leuchtet ob seiner Graustufe freundlich in diesen Arbeitstag in der Staatsbibliothek Hamburg herein. Was gäbe ich jetzt − zur Klimaanlage denkend Phrasen in die Tastatur tippelnd − für das Geräusch stupider aufeinanderschlagender Kaubalken, die kein „Das schmeckt vorzüglich, Mama!“ hervorbringen, sondern im gleichmäßigen Rhythmus zu Großmutters Wanduhr den Countdown der Woche herunterschmatzen? −−− Was gäbe ich…? Was nehme ich mir, um in dieses Bild voll vertrauter Heimeligkeit mit einem breiten Grinsen einzusteigen? Antwort: 150 Seiten Papier. Zwei Arbeitsstunden, die mit Anna Gavaldas „Ein geschenkter Tag“ zu einem geschenkten Augenblick des Innhaltens werden, der einen liebevoll an jene wunderbar breiten Familienstunden denken lässt. Bon appétit!