fühlt // 10.02.2013

Schreiben ist keine Therapie, Lesen auch nicht.

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Yael Pierens Storchenbiss

„Schreiben wollte ich nur, um Ordnung zu schaffen“, heißt es in Yael Pierens Romandebüt „Storchenbiss“, das 2012 im Rotpunktverlag (Zürich) erschienen ist. Doch weniger das Erscheinungsjahr als das Geburtsjahr der Autorin ließen meine Hände in der second-hand-Buchhandlung „text+töne“ diesen Text auf 175 Seiten Papier ergreifen. Pieren wurde 1989 als Tochter einer Deutschen und eines Ungarn in Basel geboren. Wir teilen folglich neben dem Hang zum Schreiben auch die Zahl auf sämtlichen offiziellen Unterlagen unseres jungen Lebens.

Teilen tun sich im Roman auch die Erzählerfiguren ihre Anteile am Gesamtwerk. Aus den 50-er Jahren bis in die Gegenwart hinein verstricken sich Stimmen von Menschen, die allesamt von einem Verlust – sei es der eines Fingers, der eines Hauses oder eines geliebten Menschen – berichten. Ihr Hang zum Berichten vergangener Geschichten wird ihnen zum Verhängnis: sie kommen nicht im Hier und Jetzt an. Ihre Wege und ihr Erzählen zeichnen sich durch das Erkennen aus, dass „[i]m Nachhinein das eigene Unwissen zu begreifen, […] ein unausweichlich schmerzhafter Vorgang“ ist. In einer Sprache, die ob ihrer realistischen Analyse jener Situationen, die für gewöhnlich textuelle Leerstellen bleiben, unter die Haut ins Herz zu kriechen vermag, erzeugt die Altersgenossin Pieren eine ästhetische graue Masse, die der Leser gerne im Viereck an die Wand rahmen möchte.

„Ich weiß, sie ist fort. Ich bin berührt davon, einen toten Menschen zu sehen. Die Leiche liegt umgeben von Dingen, die durch sie alleine Wert erhalten haben und mit dem letzten Atemzug bedeutungslos geworden sind. In ihrer weißen Bettwäsche, von der nun der Urin rinnt, liegt sie zusammengekrümmt und mit erstauntem Ausdruck im Gesicht.“

Pierens Figuren scheinen im Beschreiben ihrer Lebensgeschichte autopoetische Reflektionen der Autorin einzufangen bzw. auszustellen: „Als eine Therapie ist mir das Schreiben eine denkbar schlechte Tätigkeit“, lässt doch eine von Pierens Figuren verlautbaren und oktroyiert dem Text somit eine Formel, die die Figuren in ihrem Erzählen schon daran hindern muss, sich von ihrem Schmerz ‚freischreiben‘ zu können.

Der Griff zum Text, den ich als Griff in meine eigene Generation verstanden habe, ist ein Griff in die Tiefen der Emotionen, in denen wir alle wohnen. Wem das Grau-Weiß-Braun vor dem in Schneewolken behangenen Himmel bereits auf das Gemüt schlägt, der sollte vielleicht lieber ein anderes Buch aufschlagen und sich die Seele mit Komik einreiben. Pierens Erstling ist nicht nur wegen seiner eleganten Umschlaggestaltung erwähnenswert, sondern gewiss auch wegen des Versuches, „alles in diese Geschichte aufzunehmen“, um sich zu vergewissern, dass man „ganz da“ ist.

Sowie der Wille,  „alles […] aufnehmen“, jedoch denkbar schlecht für ein heilendes Schreiben ist, so ist es das Lesen desselbigen sicherlich ebenfalls nicht.