forscht // 16.05.2013

Das heimlich-unheimliche Lachen einer Kleistrophobikerin

Selbstvergegenwärtigung beim Theaterbesuch und Symposium zu Kleists Der zerbrochene Krug in Hamburg (27. u. 28. April 2013)

Man urteilt zu voreilig, wenn man meint, den Ursprung einer – meiner − Kleistrophobie in der verbindlichen Schullektüre von Penthesilea und Prinz Friedrich von Homburg und einem damit einhergehenden Besuch in der tristen Kleiststadt, Frankfurt an der Oder, bzw. in dem dort angesiedelten Kleist-Museum mit Übernachtung im Kleist-Studentenwohnheim verorten zu können. Obgleich sich ferner bereits der Tag meiner Geburt, der 3. August 1989, als leidiger Stein des Anstoßes dieser schwerwiegenden psychosomatischen Erkrankung deuten ließe, da ich seitdem jene Frau meine Oma nenne, die auf sämtlichen Urkunden, Dokumenten und Türschildern, die es im Leben so zu beschriften gilt, den Namen Kleist einträgt, ist der Grund meiner Kleistrophobie doch ein anderer. Kurz: ich kann über Kleists Komödie nicht lachen. Oder kann ich doch? Und wenn doch, über wen und was lache ich da? Lache ich über das onomatopoetische Talent des Schauspielers Tilo Werner als Schreiber Licht auf der Bühne, über die mir zugemutete Sitznachbarin, die bellt wie ein Hund lacht oder ist Der zerbrochne Krug „als Text jenseits seiner Inszenierung zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt zum Lachen?“1 Können wir an ihm „etwas von der Natur des Lachens und damit über uns erfahren […]“2? Dem Dorfrichter Adam gleich sitze ich nun über mich selbst zu Gericht und hoffe in dem Fall des Lachausfalls etwas über die widersprüchlichen Kräfte, die ein jedes Individuum durchkreuzen, erfahren zu können – mir meiner Selbstverfangenheit bewusst zu werden, meine Triebnatur offenzulegen und gegebenenfalls für Frauen, Wein und fette Würste en masse zu plädieren. Warum eigentlich nicht?

Freud hat in der Traumdeutung (1900), in der Psychopathologie des Alltagslebens (1901) und in der Studie über den Witz (1905) jenen Schabernack treffend erkannt und benannt, der den Dorfrichter Adam zu Fall bringt. Es ist die Sprache; eine Sprache, die das Unbewusste zu verhüllen versucht, es dabei immer aber auch gleichzeitig enthüllt.

Sie ist es, die neben den unglücklichen Zufällen auf der konkreten Erzählebene des dramatischen Geschehens wider Dorfrichter Adam am Werk ist. Sie ist der heimliche-unheimliche Protagonist des Stücks. Da sind zunächst die Brüche in der Rede, Das Stocken, Stammeln, Haspeln und Stottern und die Leerstellen und Gedankenstriche in diesem Text, »Steine des Anstoßes« gleichsam, über die vor allem Adam immer wieder stolpern muss und mit ihm der Leser/Zuschauer.3

Es ist folglich – insbesondere mit Freuds Darlegungen zum Witz und seiner Beziehung zum Unterbewussten argumentiert – der Sprachwitz, der das Unterbewusste aufdeckt. Jaja, dann soll also gelacht werden können, dann soll das alles also komisch sein. Doch was kommt bei mir zum Vorschein? Nichts! Nichts? Alle sitzen im Theater, alle lachen mit − und ich? Scham. Warum? Weil das, was in der Scham in Erscheinung tritt ein An-sich-selbst-Gefesseltsein darstellt, eine radikale Unmöglichkeit, mir selbst zu entkommen, der Versuch, mich auf einer großen Bühne mit Namen Lebenswelt verstecken zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Es ist also meine Intimität – die Selbstgegenwart des Ich −, die mir Anlass für mein schambeflecktes Verstummen gibt. Gefangen in meiner Lachverweigerung und in den Reihen rotbesamteter Theatersessel sitze ich meiner Scham gegenüber und fühle mich den Augen anderer ausgeliefert. So ist auch Adams Flucht anlässlich der Aufklärung des ‚Sündenfalls‘ am Ende der Komödie nicht als eine Flucht aus Furcht vor einer körperlichen Strafe oder gesetzlich festgelegter Regularien zur Sanktionierung zu verstehen: Was Adam fürchtet ist die Scham und Schande, die ihn in Form bloßstellender Blicke der anderen − seiner Welt und seiner selbst in dieser Welt – trifft. Hierdurch erst kann eine Selbstbestrafung des Protagonisten durch sein Gewissen folgen.4 Die auf dem Schauplatz Zurückgebliebenen beschreiben chorisch Adams Flucht, bei der ihm seine Perücke den Rücken peitscht, die Bestrafung also eine symbolische mittels der Insignie seiner Macht ist.

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„Wieso also auch noch Scham empfinden, wenn meine personifizierte Scham ohnehin gerade auf der Bühne agiert?“, frage ich mich während Adam von links nach rechts und von A nach B über die Bühne humpelt. Ich lasse mich gelassen in den Sessel nieder, strecke alle Glieder und bedanke mich in Gedanken bei Adam: „Danke, Adam! Danke, dass Du heute mal für mich einspringst!“ Im Zuge dieser Selbstvergegenwärtigung scheint mir der Zuschauerraum doch wirklich denkbar gut konzipiert, um meinem Lachen Raum zu geben. Da sitze ich nun, lache, lache nicht mehr heimlich, weil es mir nicht mehr unheimlich ist. Lachanfall statt Lachausfall. Mein Verstand stiftet Vertrauen: Es gibt offenbar eine intime – komplizenhafte –Verbindung zwischen dem Lachen und der Scham. Mein Lachen tritt an die Stelle der Scham der komischen Figur. Ich lache auf Kosten der Figur Adams, aber in diesem Lachen ist ein bisschen von der Identifikation des Mitleids zugleich enthalten. Destrudo und Libido sind in einem befreienden Akt mit- und ineinander vermischt; ich bin in diesem Moment nicht Adam und bin es doch.

Die eigene Teilhabe wird an und mittels der Aktualisierung des Stoffes reflektiert, das Resultat der Anwendung der Psychoanalyse auf den literarischen Text bzw. seine Inszenierung befördert ein szenisches Verstehen. Es werden und sollten keinerlei Antworten oder gar Statements – wie es einige der Teilnehmer des Symposions einfordert haben – vom Theater gegeben werden, sondern es sollten Fragen aufgeworfen werden, die zwischen Bühnenraum und Zuschauerraum in einem Dialog fortwährend den Geist bewegen.

Neulich fuhr ich mit dem Rad einen anderen Weg von der Uni aus nach Hause. Ein flüchtiger Blick zum Straßenschild hoch verkündigte mir: Kleiststraße. Ein lautes Lachen. Mein Lachen. Ich glaube, meine Kleistrophobie ist überwunden. Es ging wohl auch mehr um das Lachen als um Kleist – um ein Lachen als Ausdruck des Verständnisses für das, was auf der Bühne geschieht wie auch für das, was in einem selbst geschieht.

1 Mahler-Bungers, Annegret: „Über das Lachen in Der zerbrochne Krug von Heinrich v. Kleist“, in: Gutjahr, Lange-Kirchheim, Küchenhoff, Mauser, Pfeiffer, Pietzcker und Strasser (Hg.): Lachen (Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 25), Würzburg 2006, S. 120.

2 Ebd.: S. 120.

3 Ebd.: S. 125.

4 Gutjahr, Ortrud: „Komödie des (Ge)Wissens“, in: Programmheft zu Der zerbrochne Krug vom Thalia Theater.